Ein Gastbeitrag von Dr. Udo Engelhardt, Klimafolgenforscher & Ökologe, “Klimatreff” Soest

Nach einigen Monaten vollster Konzentration auf eine andere, globale Mega-Krise, gab es in den letzten Wochen auch in Soest wieder die eine oder andere Aktivität in Sachen Klimaschutz. Der Klima-Informationsstand ist jetzt wieder alle zwei Wochen in der Fußgängerzone zu finden, Extinction Rebellion (XR) machte mit einer kreativen ‚Pflanzung‘ von toten Bäumen in der Stadt auf die Klima-bedingten Schäden in unseren Wäldern aufmerksam und die örtliche Fridays-for-Future (F4) Gruppe organisierte eine erfolgreiche Fahrraddemo um auf die fehlenden Maßnahmen für eine dringend notwendige Verkehrswende aufmerksam zu machen. Tja, und dann gibt es da einen sogenannten ‚Masterplan Klimapakt‘, dessen Struktur und Inhalt kürzlich im Haupt- und Finanzausschuss der Stadt vorgestellt wurde. Bevor wir uns einige der Inhalte dieses Plans etwas genauer anschauen, sollten wir uns aber erst mal den aktuellen Stand der Dinge in Sachen Klima vor Augen führen. Dieser Hintergrund und Kontext ist elementar wichtig um mögliche Klimaschutzmaßnahmen und ihre Effektivität auch realistisch bewerten zu können.

An der überwältigenden Dringlichkeit effektiver Maßnahmen zur Eindämmung der voranschreitenden Klima-Krise hat sich auch während der Corona-Krise nichts geändert. Ganz im Gegenteil, die klimatischen Ereignisse der letzten Monate zeigen das wir uns mit großen Schritten sogenannten klimatischen Kipp-Punkten nähern. Das sind Kipp-Punkte im globalen Klimasystem die, wenn sie einmal überschritten sind, uns in eine dann nicht mehr kontrollierbare, globale ‚Heißzeit‘ abrutschen lassen würden. Ein Beispiel dafür ist das Auftauen der Permafrostböden in den arktischen Zonen unserer Erde. Tauende Permafrostböden lassen gewaltige, zusätzliche Mengen an klimaschädlichen Gasen, wie Kohlendioxid (CO2) und Methan (CH4) in die Atmosphäre austreten, mit dem Ergebnis das sich unsere Atmosphäre noch weiter und damit auch unkontrollierbar aufheizt. Die Monate-lange Hitzewelle in der sibirischen Arktis zeigt eine dramatische Temperaturentwicklung in dieser kritischen Zone. Im Frühjahr 2020 lag die Temperaturabweichung in diesem Gebiet bei Rekordwerten von über +7 oC. Wissenschaftliche Berechnungen sagen, dass die allermeisten dieser Kipp-Punkte bei einer globalen Erwärmung von ca. +2 oC zu Fallen drohen. Wir sind heute schon bei +1,2 oC angekommen, die Wärme der Ozeane wird (über die nächsten Jahrzehnte) mindestens 0,5 oC dazugeben und die aktuelle Temperaturentwicklung zeigt, dass wir pro Dekade mit einem weiteren Anstieg von ca. 0,2 – 0,4 oC rechnen müssen. Man muss nicht Mathematiker sein um zu verstehen, dass +2 oC globale Erwärmung nicht mehr weit von uns entfernt ist.

Die renommiertesten Klimawissenschaftler warnen, dass bereits 9 von 15 dieser ‚point-of-no-return‘ Kipp-Punkte, zumindest regional, schon wackeln. Der Konsens der Wissenschaft ist, dass die politischen Entscheidungen der nächsten 5-10 Jahre alles entscheidend sein werden. Entweder schaffen wir es gerade noch die Kurve zu kriegen und unser Klima zumindest zu stabilisieren oder wir schreiten weiter voran in eine bald nicht mehr erträgliche globale ‚Heißzeit‘! Das Corona-Motto ‚flatten-the-curve‘ (die Kurve abflachen) gilt beim Klimaschutz ganz genauso. Allerdings mit dem großen Unterschied, dass wir die Emissionskurve der klimaschädlichen Gase nicht nur abflachen müssen, sondern mittlerweile richtig plattmachen müssen und zwar schnellstens.

Der Zusammenbruch unserer weltweiten Ökosysteme und damit auch unserer Gesellschaft und Zivilisation wäre die wohl unausweichliche Konsequenz eines weiteren Nichtstuns. Unser bisheriges ‚business-as-usual‘ Modell würde zum ‚end-of-all-business‘ Kollaps führen. Es ist leider keine Übertreibung zu sagen, dass die 2020-ger Jahre die entscheidende Dekade für die Zukunft der Menschheit sein wird. Um eine Analogie aus dem Schachspiel zu nutzen – wir sind im Endspiel (‚Endgame‘) angekommen!

Wie sieht es denn jetzt aktuell auf der lokalen, politischen Ebene aus? Gibt es Anzeichen dafür, dass der momentan im Rathaus regierende Mix aus Parteien sich dem Ernst der Lage endlich bewusst geworden ist? Gibt es klare Anzeichen für eine passende ‚Endspiel-Strategie‘? Der neue ‚Masterplan Klimapakt‘ sollte auch auf diese kritischen Fragen Antworten geben können. Was verbirgt sich wohl hinter diesem doch etwas kryptischen Titel des Plans? Beinhaltet er die drei kritischen Bereiche einer effektiven Strategie:

  1. Anerkennung und Darstellung der aktuellen Klima-Realität und der zu erwartenden Entwicklungen (Status & Trends)
  2. Realisierung der Notwendigkeit von vielfältigen Klimaanpassungsmaßnahmen (Adaptation) und
  3. Fokussierung auf dringende Maßnahmen zur Reduzierung von klimaschädlichen Gasen (Mitigation)

Die Initialzündung für den Masterplan waren wohl die Beschlüsse des Rats der Stadt im Dezember 2019. Eines der formulierten Ziele für 2020 war es, die Möglichkeiten zur Erreichung einer nicht näher definierten ‚Klimaneutralität‘ für den ‚Konzern‘ und die Gesamt-Stadt Soest auszuloten. Hier lohnt es sich einmal kurz auf den genauen Text der Ratsbeschlüsse zu schauen (Auszüge vom Dezember 2019):

Die lokalen Voraussetzungen zur Erreichung des Ziels “der Konzern Stadt Soest (mit den Konzerntöchtern Kommunale Betriebe Soest, Zentrale Grundstückswirtschaft der Stadt Soest, Wirtschaft & Marketing Soest und Stadtwerke Soest) ist 2030 klimaneutral” sind geschaffen.

Die lokalen Voraussetzungen zur Erreichung des Ziels “Soest ist 2035 klimaneutral” sind geschaffen.“

Die lokalen Voraussetzungen zur Erreichung des Ziels … sind geschaffen.“

Stadt Soest: Haushaltsplan 2020 – Teil B

Diese Formulierung der beiden Beschlüsse gewährt einen tiefen Einblick in die Denk- und Herangehensweise der momentan regierenden Parteien. Man hat sich hier zum Ziel gesetzt, über einen Zeitraum von einem ganzen Jahr (2020), mal zu schauen ob man möglicherweise, vielleicht, unter Umständen in der Lage sein könnte, gewisse Klimaschutzziele (z.B. eine nicht näher definierte Klimaneutralität) auch lokal anzugehen?!

Tut mir leid, aber die einzige Voraussetzung die hier erfüllt werden muss ist der unbedingte politische Wille, dem Klimaschutz in all seinen Facetten (inkl. Status Kenntnisse, Adaption & Mitigation) die vorrangige Bedeutung und Wichtigkeit zu geben die er verdient. Hier wird ein ganzes Jahr in unserem Jahrzehnt der Entscheidung mit trivialen Vorbereitungen scheinbar einfach nur verschwendet. An dieser enttäuschenden Tatsache kann auch die jetzt vorliegende Liste an sogenannten Sofortmaßnahmen zum Klimaschutz nichts ändern.

Auf der Internetseite der Stadt Soest wird der Bürgermeister, Dr. Eckhard Ruthemeyer, wie folgt zitiert:

Es reicht nicht, sich für das Jahr 2035 ein Ziel zu setzen, und dann Jahr für Jahr einen bunten Strauß an Klimaschutzmaßnahmen zu realisieren, ohne dass wir wissen, ob diese Maßnahmen überhaupt wirksam zur CO2 – Reduzierung beitragen oder ob es nicht effizientere Möglichkeiten gibt.“

Stadt Soest: 18 Sofortmaßnahmen und ein Masterplan für das klimaneutrale Soest des Jahres 2035

Inhaltlich verdient diese Aussage erst einmal Anerkennung. Leider aber ist die Liste der jetzt präsentierten Sofortmaßnahmen genau das, was er angeblich doch gar nicht wollte – einen bunten Strauß an Klimaschutzmaßnahmen von denen man nicht weiß, ob sie wirksam CO2 Emissionen reduzieren.

Der bunte ‚Klimaschutz-Strauß‘ umfasst kleinere Förderbeträge für Lastenfahrräder, Diensträder für die Stadtverwaltung, Fahrradstellplätze, Photovoltaik-Anlagen und einen lokalen Klimaschutz-Wettbewerb. Die Liste dieser Maßnahmen scheint auf den ersten Blick relevante und nützliche Dinge zu beinhalten, allerdings würden sie das nur dann, wenn dafür auch ‚Gerätschaften‘ mit fossilen Antrieben aus dem Verkehr gezogen würden. Referenzen zu einem derartigen Erfolgs-Kriterium sucht man allerdings vergebens in den Papieren zur Ratssitzung.

Dafür findet man aber zwei weitere Sofortmaßnahmen die ,zusammengenommen, über ein Drittel der Gesamtkosten des Bonus-Pakets ausmachen – eine ‚Öffentlichkeits-Offensive Klimapakt‘ (inkl. Logo, Slogan und Schlüsselbild) sowie Broschüren zum Thema Klimaschutz. Für eine Gesamtsumme von EUR 36,000 (mehr als 3,5 x so viel Geld wie für die Förderung von PV-Anlagen!) will der Rat die Bürger*innen der Stadt Soest über den bis jetzt gar nicht existierenden eigenen ‚Klimapakt‘ informieren und die Menschen vor Ort zum eigenverantwortlichen Handeln auffordern. Frei nach dem Motto ‚Das ist euer Problem … tut ihr doch was‘!

Broschüren zum Thema individueller Klimaschutzmaßnahmen für Bürger*innen gibt es bereits dutzendweise. Ein Vielzahl an Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden haben derartige Informationsmaterialien in den letzten Jahren veröffentlicht – wir brauchen davon nicht noch mehr! Dazu kommt, dass die geplanten Broschüren (mal wieder) die Last des Handelns auf die Bürger*innen abwälzen sollen. Ja, individuelles Handeln in Sachen Klimaschutz ist auch wichtig, aber ohne eine großangelegte Transformation unserer Wirtschaft und besonders der Energiebranche und der Landwirtschaft, werden wir die Emissionskurve nicht so plattmachen können wie es jetzt dringend notwendig ist!

Das gesamte Öffentlichkeits-Paket, inklusive der Broschüren, ist nicht nur überflüssig, sondern birgt in sich auch die Gefahr, dass städtische Gelder für Wahlkampf-politische Maßnahmen missbraucht werden könnten. Dieses wäre der Fall, wenn diese Maßnahmen noch vor der Kommunalwahl im September 2020 umgesetzt würden. Es bedarf keiner großen Fantasie sich vorzustellen wessen lächelndes Gesicht die ‚Info-Materialien‘ zieren würde. Soviel zum bunten Strauß an Klima-Sofortmaßnahmen, die am Donnerstag im Rat beschlossen werden sollen. Jetzt aber wird es Zeit vom kleinen auf das große Denken umzuschalten.

Einer der für mich einprägsamsten Sprüche der letzten Jahre sagt:

Es ist nicht unser Problem, dass wir zu große Ambitionen haben, diese aber vielleicht nicht ganz erreichen … es ist aber unser Problem wenn wir zu niedrige Ambitionen und Ziele haben und diese dann erreichen!“

Besser kann man die momentane Problematik in Sachen Klimaschutz wahrlich nicht beschreiben.

Auch die lokale Politik im Rat bewegt sich leider im Bereich (viel) zu niedriger Ambitionen. Das beste Beispiel dafür sind die Ziele für den ‚Konzern Stadt Soest‘ und die Gesamtstadt Soest. Der sogenannte ‚Konzern Stadt Soest‘ (die individuellen Betriebseinheiten der Stadt inkl. Stadtwerke) soll bis 2030 klimaneutral werden; die Gesamtstadt soll dieses Ziel bis 2035 erreicht haben. Diese Ziele sind nicht nur unambitioniert, sondern auch zeitlich inakzeptabel. Im Fall des ‚Konzerns Stadt Soest wären das 10 (!) Jahre Zeit um die Betriebseinheiten einer Kleinstadt klimaneutral zu machen! Was soll hier bitte schön 10 Jahre dauern? In Deutschland haben wir absolut ALLES was gebraucht wird, um dieses Ziel wesentlich schneller zu erreichen, möglicherweise in nur 5 Jahren. Wir haben die Technologien (Wind, Solar & Speicher), wir haben die Expertise in den Bereichen Wirtschaft und Wissenschaft (z.B. Wuppertal Institut, Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, Deutsches Institut für Wirtschaft, ‚German Zero‘, ‚Exponential Roadmap‘) die alle in Frage kommenden Transformationsprozesse und Szenarien schon längst durchgespielt und für uns berechnet haben. Finanzierungsmöglichkeiten gibt es für Rekordniedrigzinsen durch die KfW, die Europäische Investment Bank (EIB) und bei vielen anderen Institutionen.

Das Einzige was fehlt für die nötige Transformation ist der politische Wille! Wo sind der Mut, die Motivation und die Bereitschaft, endlich zu akzeptieren was jetzt getan werden muss, damit wir alle noch eine gemeinsame, lebenswerte Zukunft haben?

Vielleicht regt sich ja am Donnerstag, dem 25. Juni 2020, ab 17 Uhr in der Stadthalle von Soest etwas … vielleicht werden wir Zeugen eines Ausbruchs von Mut und visionären Taten … ich bin gespannt … die Hoffnung stirbt zuletzt!

PS: Als Teil der Ratssitzung findet die Diskussion zum ‚Masterplan Klimapakt‘ im öffentlichen Teil der Sitzung direkt am Anfang statt. Interessierte Bürger*innen können sich gerne schon ab ca. 16:30 Uhr für einen ‚Chat‘ vor der Stadthalle treffen. Ich denke, das ist eine gute Gelegenheit den Ratsmitgliedern zu zeigen, dass die lokale Klimabewegung ‚alive-and-well‘ ist und dass wir weiter genau hinschauen was hier vor Ort passiert. Der Kommunalwahlkampf steht vor der Tür … und bitte die Gesichtsmasken nicht vergessen!