Hitze in der Stadt

Hitzewellen werden durch den Klimawandel hundert oder gar tausendmal wahrscheinlicher werden. Sie unterscheiden sich damit grundlegend von anderen Extrem-Ereignissen, wie z.B. Extremniederschlägen, die etwa zwei- bis dreimal häufiger auftreten werden. Der Klimawandel ist für die Hitzewellen ein absoluter Game-Changer. Deswegen brauchen wir eine komplett andere Strategie, wie wir mit Hitze umgehen.

Wie diese Strategie vor Ort aussehen kann und welche konkreten Handlungsmöglichkeiten die Stadt Soest auf kommunaler Ebene nutzen kann, hat Michelle Kasprzak von der Technischen Universität Dortmund im Rahmen ihrer Bachelorarbeit untersucht. In ihrer Analyse beschreibt sie sehr klar, auf welche Hemmnisse sie bei der Umsetzung einer hitzeangepassten Stadtplanung gestoßen ist und gibt anschließend umfangreiche Empfehlungen, wie sich die Soester zukünftig erfolgreich an die hitzebedingten Klimafolgen anpassen können.

Westfälische Bucht besonders betroffen

Von der Zunahme der Hitze ist in NRW besonders die Westfälische Bucht betroffen, zu der auch Soest gehört. Laut Prognosen wird in den nächsten 30-60 Jahren die Anzahl der Sommertage, mit über 25 Grad Celsius, um 100 Prozent und die Anzahl der heißen Tage, mit über 30 Grad Celsius, um 500 Prozent zunehmen. Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts werden in Soest bis zu 50 Sommertage und 23 heiße Tage wahrscheinlich sein. Auf diese klimawandelbedingten Veränderungen müssen wir uns – die Stadt und die Gesellschaft – heute vorbereiten, um die negativen Auswirkungen der Wärmebelastungen dauerhaft so gering wie möglich zu halten.

Hitzebedingte Übersterblichkeit nimmt zu

In Deutschland ist für die Jahre 2003, 2006 und 2015 von rund 19.500 hitzebedingten Todesfällen auszugehen. Im Jahr 2019 gab es in Deutschland rund 47 Prozent mehr hitzebedingte Todesfälle als in der Referenzperiode von 2000 bis 2005. Die Todesfälle sind dabei nicht immer direkt auf die Hitze zurückzuführen, beispielsweise durch Hitzeerschöpfung oder Hitzeschlag, sondern teilweise auch auf die Verschlimmerung vorbestehender Grunderkrankungen (z.B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen). Hierbei nehmen das Alter, Geschlecht, Einkommen sowie die Nähe des Wohnstandortes zum Stadtkern Einfluss auf die Sterblichkeit. Vor allem ältere Menschen, Kleinkinder, Säuglinge, Erkrankte, Obdachlose und Menschen, die regelmäßig draußen arbeiten, gehören zu den besonders hitzegefährdeten und vulnerablen Bevölkerungsgruppen.

BürgerWOLKE zeigt städtische Wärmeinseln

Städte sind in besonderer Weise durch den Klimawandel betroffen, da die ohnehin bestehende urbane Überwärmung durch den Klimawandel noch verstärkt wird. Infolgedessen kommt es vor allem in stark besiedelten und versiegelten Bereichen zu extremen Hitzebelastungen und der Entstehung städtischer Wärmeinseln. Dieser Effekt ist auch in Soest sehr deutlich spürbar und mit der BürgerWOLKE sogar in Echtzeit messbar.

Zwischen den größtenteils landwirtschaftlich genutzten Freiflächen und den stark versiegelten, dicht bebauten Kernstadtbereich können in windschwachen, wolkenfreien Sommernächten Temperaturunterschiede von bis zu 7 Kelvin auftreten. Dies kann bedeuten, dass es nachts im Innenstadtbereich nicht unter 20 °C abkühlt. Um dieser thermischen Aufheizung in der Stadt entgegenzuwirken, sind wirksame Maßnahmen der kommunalen Klimaanpassung umzusetzen. Zu den wesentlichen Handlungsfeldern gehören die grünen und blauen Infrastrukturen, die Bauwerksbegrünung, die Oberflächen- und Straßenraumgestaltung sowie die Durchlüftung.

Gesetzlich und politisch zur Klimaanpassung verpflichtet

Mit der Verabschiedung des Klimaanpassungsgesetzes Nordrhein-Westfalen (KlAnG) im Jahr 2021 stellt die Berücksichtigung und Bewältigung der Klimaanpassung eine verpflichtende kommunale Aufgabe dar. Dieser Verpflichtung kommt die Stadt Soest nach. Der Rat hat bereits 2016 ein Klimaanpassungskonzept verabschiedet und sich zur Teilnahme am European-Climate-Award (eca-Prozess) entschlossen.

Damit wurden sowohl die fachlichen als auch die politischen Grundlagen geschaffen, die zur Entwicklung einer gesamtstädtischen und langfristigen Strategie für eine zielgerichtete Anpassung an die Klimafolgen notwendig sind. Bei der Konfrontation mit realen städtischen Projekten und Vorhaben werden diese Vorgaben dennoch immer wieder missachtet. Woran das liegt, zeigt die beispielhafte Betrachtung der Umgestaltung des Marktplatzes.

Fehlende Integration in Planungsprozesse

Der eca-Prozess sieht vor, dass bei klimasensiblen Planungsprojekten die Expertise, Interessen und Gestaltungsvorschläge aus sämtlichen Bereichen mit einbezogen werden. Dazu werden alle relevanten Akteur:innen der Kommune zu einem interdisziplinäres Klimateam unter Leitung der Geschäftsstelle Klimaschutz zusammengeführt und am Entscheidungsprozess beteiligt. Für die Maßnahmenentwicklung sind stadtklimatische Untersuchungen, mit Hilfe des digitalen Programms namens INKAS, vorgesehen. Diese sollen zukünftig durch präzise Klimamodellierungen auf Basis der Klimamessdaten aus der BürgerWOLKE und den Gebäudemaßen des 3D-Stadtmodells erweitert werden.

Eine verwaltungsintern vorgeschriebene Berücksichtigung […] zur Integration von Klimaanpassung in die Planungsprozesse der Stadt Soest […] ist notwendig.

Klimaanpassungskonzept

Leider ist der beschriebene Ablauf bis heute kein verbindlicher Bestandteil der Planungspraxis. Fachbereiche, die den Klimaanpassungsprozess kennen, versuchen im besten Fall die Maßnahmen instinktiv umzusetzen. Bei der Marktplatzumgestaltung wurde das Klimateam nur unzureichend integriert und keine stadtklimatischen Untersuchungen durchgeführt. Die Auswahl der eingereichten Gestaltungsvorschläge wurde durch ein Bewertungsgremium ohne Beteiligung der Geschäftsstelle Klimaschutz getroffen. Das führte schließlich dazu, dass Entwürfe, die wirksame Elemente für eine Klimaanpassung beinhalteten, abgewertet wurden.

Auch wenn der in diesem Entwurf hervorgehobene Klimaaspekt in der Stadt seine Berechtigung hat, stellt sich für den Marktplatz die Frage, ob nicht die anderen Aspekte, nämlich die sozialen, funktionalen und städtebaulich-denkmalpflegerischen eine größere Gewichtung haben sollten.

Protokoll zur Sitzung des Bewertungsgremiums

Erträge wichtiger als Stadtklima

Wie beim Marktplatz werden die Allerheiligenkirmes und andere Veranstaltungen häufig als Begründung genannt, warum Entsiegelungs- und Begrünungsmaßnahmen in Soest nicht konsequent umgesetzt werden können. Dabei gibt es viele Ideen, wie sich gesundes Stadtklima und attraktive Groß-Fahrgeschäfte vereinbaren lassen und gleichzeitig das Ziel der Klimaneutralität verfolgt werden kann.

Hierbei wird auf die Umgestaltung der Soester Altstadt verwiesen, welche unter Aspekten der Hitzeanpassung in Konflikt mit den dort stattfindenden Veranstaltungen, wie der Allerheiligenkirmes, stehen. Hier führen Entsiegelungs- und Begrünungsmaßnahmen zu einer Reduzierung, der für diese Veranstaltungen zur Verfügung stehenden Flächen und mindern die zu erwirtschaftenden Erträge.

Michelle Kasprzak: “Eine Analyse der kommunalen Handlungsmöglichkeiten sowie Herausforderungen in der Hitzeanpassung am Beispiel der Stadt Soest

Durch eine intelligente Kombination und Integration der vorhandenen Konzepte zum Klimaschutz, Verkehrsentwicklung, Klimaanpassung und einem Nachhaltigkeitsfahrplan für Stadtfeste lassen sich viele Nutzungskonflikte lösen und technische Hemnisse, die sich aus den besonderen Kirmes-Anforderungen an die Bodengestaltung ergeben, reduzieren. Die Aufgabe der Politik ist es, die Entscheidungen für Klimaanpassungsmaßnahmen und die Umgestaltung der Stadt zu begründen und den Bürger:innen die Notwendigkeit der Maßnahmen zu vermitteln.

Wissenslücken im Bereich Klimatologie

Insbesondere die personellen Ressourcen der Stadtplanung sind aufgrund der Vielzahl an kommunalen Verpflichtungen und Aufgaben abseits der Hitzeanpassung bereits ausgeschöpft. Der dringend benötigte Wissensaufbau im Bereich der Klimatologie konnte daher anscheinend bisher nur unzureichend stattfinden. Dieses spiegelte sich u.a. darin wieder, dass eine faktenbasierte Diskussion über die Klimawirksamkeit von Wasserelementen im Bewertungsgremium nicht möglich war. Fachlich falsche Aussagen der B.S.L. Landschaftsarchitekten wurden nicht entkräftet und führten letztlich zu einem unbefriedigenden Ergebnis des Auswahlprozesses.

Düsen, die Wasser aus dem Boden spritzen, werden niemals zur Klimafolgenanpassung beitragen.

Klaus Schulze, B.S.L. Landschaftsarchitekten, Planer des Siegerentwurfes

Eine wissenschaftlich fundierte Übersicht über die Kühlwirkung der verschiedenen urbanen Klimaanpassungsmaßnahmen und die Erläuterungen der physikalischen Zusammenhänge ist ebenfalls in der Bachelorarbeit zu finden. Daraus geht eindeutig hervor, dass in städtischen Bereichen, in denen großflächige Wasserflächen aufgrund des Platzmangels nicht realisiert werden können, Brunnen, Fontänen und Wasserspiele eine alternative Maßnahme zur Reduzierung der umgebungsnahen Lufttemperatur bieten können.

Handlungsempfehlungen

Zur Verbesserung des Stadtklimas und Reduzierung der städtischen Überwärmung ist es demnach sinnvoll, den Anteil an Wasserflächen, wie Seen und Teiche, im städtischen Raum durch Neuentwicklung zu erhöhen, bestehende Gewässer zu schützen und diese besser in den Siedlungsraum zu integrieren. Im Bereich bestehender Fließgewässer stellt die Renaturierung dieser, unter Berücksichtigung der Anforderungen des Hochwasserschutzes, eine klimatisch bedeutsame Maßnahme dar. Eine positive Vision, wie dies gelingen könnte, zeigt das integrierte Konzept von So lebenswert.

Auch der im Rahmen zur Überflutungsvorsorge renaturierte Abschnitt des Soestbaches (Aldegreverwall- und Feldmühlenweg) ist ein erfolgreiches Beispiel, wie eine Reduzierung der innerstädtischen Hitzebelastung gelingen kann. Eine weitere Freilegung des Soestbaches im Bereich der Dominikanerstraße wird daher derzeit geprüft.

Die vorliegende Untersuchung nennt für eine erfolgreiche hitzeangepasste Stadtentwicklung darüber hinaus folgende Handlungsempfehlungen:

  • Fachwissen im Bereich der Hitzeanpassung erweitern
  • Fachliche Expertise einbinden
  • Verbindliches Handlungsschema erstellen und integrieren
  • Checkliste erstellen und in die Bauleitplanung integrieren
  • Controllingkonzept erstellen
  • Fachabteilungen stärker vernetzen
  • Baumkatalog und Klima-Arten-Matrix erarbeiten
  • Inhalte der Altstadtsatzung überprüfen und anpassen
  • Bestehende Grünflächen optimieren
  • Innenhofbegrünung forcieren
  • Urban Wetlands in den Stadtraum integrieren

Die Bachelorarbeit ist eine hervorragende Grundlage für den Wissensaufbau im Bereich Hitzeanpassung. Sie empfiehlt sich damit als Pflichtlektüre für alle kommunalen Akteur:innen, die an der Planung und Durchführung der Soester Stadtentwicklung beteiligt sind.


Quellen: