Ein breiter Konsens seriöser Forschung warnt vor einer bedrohlichen und vielleicht bald nicht mehr abzuwendenden Spirale des menschengemachten Klimawandels. Trotzdem scheinen sowohl große Teile der Bevölkerung, als auch der Entscheidungsträger sich nicht für die drohende Zerstörung der Welt, wie wir sie kennen, angemessen zu interessieren. Die düsteren Prophezeiungen der Klimawissenschaftler werden heruntergespielt oder sogar geleugnet, die nötigen klimapolitischen Schritte werden nicht unternommen.

In dem Artikel (erschienen im September 2019 im Psychotherapeutenjournal – offizielles Organ der Psychotherapeutenkammern) wird wissenschaftlich untersucht, wie solche Verleugnungen zu erklären sind und wie Leugner abgeholt werden können.

Reaktionen auf eine existentielle Bedrohung

Die Klimakrise stellt eine Bedrohung für uns als Individuum und für uns als Menschheit dar und löst deshalb extreme Todesangst aus. Das ist unerträglich und wir antworten mit Bewältigungsstrategien, die man im wesentlichen als diese drei charakterisieren kann:

Erdulden, Vermeiden, Überkompensieren.

Erdulden als Bewältigungsstrategie

Wenn wir Angst erdulden, die Schrecklichkeit also in ihrer Gänze wahrnehmen, werden wir überschwemmt von Todesangst und Hilflosigkeit. Die Folge dieser Haltung ist eher eine ohnmächtige Unterwerfung unter ein nur scheinbar aussichtsloses Schicksal. Das motiviert nicht zu einer aktiven Verhaltensänderung. Es gibt scheinbar keine Optionen, einer problematischen Lage zu entgehen. Der Autor vermutet, dass durch die Erduldungs-Reaktion gegenüber der Klimakrise psychische Krankheiten verstärkt, oder gar erst verursacht werden – insbesondere Angststörungen. Das Erdulden kann mit einer zynischen, passiv-aggressiven Haltung verbunden sein und schnell übergehen in „blame-shifting“, bei dem Menschen die Verantwortung von sich selbst auf andere übertragen. „Der hat aber auch …“, „Die machen das viel schlimmer als wir …“. Insbesondere China wird in Bezug auf das Klima hier häufig als Sündenbock verwendet.

Klimakrise ausklammern: Vermeiden

Nachrichten und Gesprächen zum Thema wird aus dem Weg gegangen, oder die direkte Betroffenheit wird verdrängt: „Vielleicht betrifft der Klimawandel dann irgendwelche Inselvölker, aber mich persönlich betrifft das nicht“. Oder man tröstet sich damit, dass schon jemand kommen wird, der das Problem lösen wird.

Überkompensieren durch Gegenangriff

Paradoxerweise kann die Konfrontation mit der drohenden Auslöschung unserer Welt auch zu einer entgegengesetzten kämpferischen Haltung führen: zum „Kreuzrittertum“ gegen den Klimaschutz.

Wir Menschen versuchen, symbolische Unsterblichkeit zu sichern. Und zwar entweder indem wir

a) unsere Identifikation mit einer von uns als wertvoll erachteten Gruppe (und deren Weltsicht) stärken, oder b) versuchen, unseren individuellen Selbstwert zu steigern.

Dadurch erlangen entweder a) meine Gruppe und ihre Werte oder b) ich persönlich „symbolische Unsterblichkeit“.

Die Idee „Auch wenn ich tot bin, wird / werden meine Gruppe / meine Werte / das Andenken an mich weiterleben“ gibt mir Sicherheit. Auch wenn es absurd erscheint – Die symbolische Überlebenssicherung ermöglicht eine schnelle (Todes-)Angstreduktion: Die Bewusstmachung der Sterblichkeit kann dazu führen, dass Raucher tiefer inhalieren und Menschen risikoreicher Auto fahren – und zwar immer dann, wenn diese Dinge zentral für die Identität der Person und ihren Selbstwert sind. Verteidigen Menschen Werte wie Wachstums- und Profitorientierung, um sich gegen Todesangst abzuschirmen, kann klimaschädliches Verhalten resultieren.

Auch zeigt sich, dass die Bewusstmachung der Bedrohung durch die Klimakrise Menschen einen autoritären Führerstil bevorzugen und Outgroup-Mitglieder abwerten lässt.

Uns wird klarer, welche Werte wir besitzen – im Angesicht der Apokalypse erfahren wir, wer wir wirklich sind.

Fridays For Future existentiell gesund

Da wir es bei der Auseinandersetzung mit dem menschengemachten Klimawandel mit einer noch änderbaren Situation zu tun haben, ist hier ein aktivistisches Vorgehen in Richtung dieses Ziels funktional. Wir können unser Überleben (und das unserer Urenkel) noch sichern durch zeitnahes kämpferisches Wirken. Die Gruppe der demonstrierenden Jugendlichen wäre vor diesem Hintergrund als existenziell gesund zu bezeichnen. Schematherapeutisch gesprochen sind also aktuell die Menschen, die im „Gesunder Erwachsener“-Modus sind, eben nicht die Erwachsenen – sondern die Jugendlichen.

Wie kann man nun Menschen abholen, wo sie sind, also Menschen im Modus Erdulden oder Vermeiden oder Überkompensieren?

Selbstwirksamkeit statt Ohnmacht

Menschen im Erduldungs-Modus müssten gestufte, konkret formulierte, erreichbare Teilziele aufgezeigt werden. „Wie Sie sich heute gegen den Klimawandel engagieren – in 10 einfachen Schritten“. Das Erreichen dieser Teilziele würde zunehmend Vertrauen schaffen, selbst etwas bewirken zu können. Selbstwirksamkeit tritt an die Stelle von Ohnmacht.

Verständnis für Vermeidung

Man könnte sich hier Kampagnen vorstellen, die die Zuschauer mit empathischem Verständnis bei ihren Vermeidungsstrategien abholen – „Kennen Sie das auch? Wenn Sie von einem harten Arbeitstag nach Hause kommen, wollen Sie sich nicht noch mit dem Klima beschäftigen. So etwas stresst doch nur. Wir kennen das …“. Erst danach werden die langfristigen Kosten dieses Vermeidungsverhaltens aufgezeigt.

Es hilft außerdem mehr, die Verantwortung zu betonen und Verhalten zu kritisieren, als Menschen dazu zu bringen, sich für ihre Versäumnisse zu verurteilen und sich dafür zu schämen, was sie angerichtet haben. Um einen ausschließlich intellektualisierenden Umgang zu verhindern, ist es ferner wichtig, persönliche Einzelschicksale und an Emotionen appellierende Methoden zu wählen.

Viele Kämpfer gegen den Klimawandel werten ihre Gegner ab, indem sie ihnen pauschal finanzielle, eigensüchtige Motive unterstellen. Werden Vorsatz und Unmoral unterstellt, kränkt dies wiederum den Selbstwert der betroffenen Person und wird eher nicht zu einer Änderung, sondern eher zu defensiven Reaktionen führen.

Menschen im Kämpfer-Modus abholen

Ein zentrales Grundbedürfnis von Menschen ist die Selbstbestimmung. Auf diese Weise ist der Vorwurf eines „Öko-Dirigismus“ zu verstehen. Von Klimaschützern geforderte Schritte werden als Einschränkungen persönlicher Freiheit gewertet. Die Chance im Umgang mit Menschen im kämpferischen Modus bestünde darin, an deren übergeordnete Werte zu appellieren, z. B. an die Fürsorge für zukünftige Generationen. Aktuell opfere ich für meine Selbstbestimmung im Kleinen („so viel Auto fahren, wie ich will“) meine Selbstbestimmung im Großen und meine bedeutsamsten Werte („für meine Nachkommen sorgen“). Um dem Bedürfnis nach Selbstbestimmung entgegenzukommen, können und sollten Kampagnen also nicht versuchen, Menschen zu neuen Werten zu überreden, sondern bereits vorhandene, übergeordnete Werte von Personen ansprechen und aktivieren.

Die Strategien Erdulden, Vermeiden, Überkompensieren versuchen Angst und Bedrohung gering zu halten. Langfristig funktional ist es, bei Menschen eine Annäherungsmotivation für den Klimaschutz aufzubauen: Wofür lohnt sich (positiv) die Auseinandersetzung mit der Angst? Wofür lohnen sich die nötigen Einschränkungen im Alltag? Kampagnen sollten diese drei Annäherungsziele bieten: Sinnerfüllung – Zugehörigkeit – Selbstwert.

Sinnerfüllung aufzeigen

Ein erstes Annäherungsziel kann die in Aussicht gestellte Sinnerfüllung sein. Wohlbefinden und die psychische und physische Gesundheit von Menschen werden durch Sinnerfüllung gesteigert. Die Bekämpfung des Klimawandels eignet sich besonders gut als sinnerfüllendes Ziel, weil es Selbsttranszendenz beinhaltet: Ein außerhalb der eigenen Person stehendes Ziel wird verfolgt. Diese Selbst-transzendenz erweist sich in Studien besonders in Verbindung mit den Zielen von „Fürsorge“ und „Generativität“ (= die menschliche Fähigkeit, individuell bzw. kollektiv um das gegenseitige Angewiesensein der Generationen zu wissen) als sinnstiftender Faktor. Das „Retten der Welt“ kann deswegen auch als sinnstiftendes Projekt beworben werden.

Alle in einem Boot

Ein zweites Annäherungsziel kann die in Aussicht gestellte Zugehörigkeit sein: Wir sitzen alle in einem Boot. Von der Gruppe wertvoller Kleinstadtbewohner hin zu einer Gruppe der Erdenbürger. Die Bewusstmachung des Klimawandels kann die Wahrnehmung von Unter-schieden zwischen Gruppen und Völkern reduzieren und die Kooperationsbereitschaft erhöhen und die Konfliktbereitschaft senken. Der Klimawandel ist hier ein geeignetes übergeordnetes Ziel. In Verbindung mit einem Narrativ des Zusammenschlusses aller Völker gegen einen gemeinsamen Feind – populär in Hollywood-Blockbustern wie „Independence Day“ und „Pacific Rim“, in denen Menschen sich aufgrund von Alien-Invasionen weltweit zusammenschließen müssen – könnte die Abwendung einer ökologischen Katstrophe zu einem internationalen Projekt werden, das das Bedürfnis nach Zugehörigkeit befriedigen kann.

Heldentaten

Ein drittes Annäherungsziel kann die in Aussicht gestellte Erhöhung des Selbstwertes sein. Wenn zeitgleich mit den düsteren Wahrheiten die Option eröffnet wird, ein „Held“ zu sein, so steht direkt ein konstruktiver Strohhalm zur Angst-Pufferung bereit, an den sich Menschen klammern können. Dies funktioniert allerdings nur bei Menschen, denen umweltbewusstes Handeln bereits als positives selbstwertbezogenes Verhalten gilt. Vor dem Hintergrund des großen Ziels wäre ein „Reframing“ vieler kleiner oder großer Aktivitä-ten als „Heldentaten“ denkbar: von der Teilnahme an einer Demo bis zur Verewigung als Spender. Das Streben nach Selbstwert ist ein Streben nach symbolischer Unsterblichkeit. Es sollte also auch konkrete Möglichkeiten geben, als „kosmischer Held“ ein heroisches Bedürfnis nach Selbstwert in andere Bahnen umzulenken.

https://www.psychotherapeutenjournal.de/ptk/web.nsf/gfx/PTJ_2019-3_online.pdf/$file/PTJ_2019-3_online.pdf (Seite 253 bis 260)

Redigiert von Ute Buschhaus und Vera Neubauer.

Karikatur von Gerhard Mester

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Karikatur_von_Gerhard_Mester_zum_Thema_Klimawandel_gibt_es_nicht_O12816.jpg