Ein Gastbeitrag von Marcel Papenfort, B.Eng., Masterstudent – Universität Kassel, Regenerative Energien und Energieeffizienz

Die Ausgangslage

Im Jahr 2019 stellt der Windkraftbetreiber Michael Flocke zwei Bauanträge für Windenergieanlagen (WEA) um damit 4 alte WEA in einer bestehenden Vorrangzone zu repowern.

Die 4 alten Anlagen sind jeweils 100 m hoch und erzeugen jährlich zusammen ca. 10 Mio. kWh. Die beiden neuen 230 m hohen Anlagen sollen diese 4 alten Anlagen ersetzen und jährliche ca. 20 Mio. kWh erzeugen. Das heißt mit dem Repowering wird die Anlagenzahl halbiert und die erzeugte Energiemenge verdoppelt.

Dieses Vorhaben stößt auf wenig Zustimmung bei den ortsansässigen Politikern, obwohl sich alle zur Klimaneutralität 2030 bekannt haben. Zu beobachten ist, dass die Entscheidungen der Politik von der Bürgerinitiative “Lautstark gegen Schattenschlag” (BI) beeinflusst wurden. Sämtliche vorliegenden Gutachten zum Thema Schall und Schattenwurf wurden von den politischen Vertretern so gut wie ignoriert oder aber nicht verstanden.

Im Juni 2020 verhängt die Stadt Soest eine Veränderungssperre, indem man einen Bebauungsplan für die Vorrangzone aufstellen möchte, in dem eine neue Höhenbegrenzung für WEA vorgesehen werden soll. Gegen diese Veränderungssperre hat der Betreiber im Jahr 2020 einen Normenkontrollantrag vor dem OVG NRW angestrebt. Dieser ist im Eilverfahren abgewiesen worden. Allerdings folgt das ausführlichere Hauptverfahren noch. Parallel zu diesem Prozess haben Gespräche zwischen Betreiber und der Stadt Soest stattgefunden, in denen ein Kompromiss gefunden und vorgeschlagen wurde. Dieser ist aber letztlich von CDU, FDP, SO!, AfD und SPD abgelehnt worden.

Der Kompromissvorschlag

Der Betreiber Herr Flocke hat nach Gesprächen mit der Stadt einen Kompromissvorschlag vorgelegt. Dieser beinhaltet eine Verkleinerung der nördlichen Anlage um 30 m auf 200 m und damit einen Verzicht auf etliche kWh Ertrag pro Jahr. Diese Verkleinerung stellt optisch ein unschöneres Bild dar, da die Proportionen der Anlagen nicht mehr wirklich zusammenpassen. Allerdings käme man so dem Wunsch der Anwohner nach kleineren Anlagen teilweise nach. Als weiteres Angebot sollte der Schattenwurf von maximal 8 Stunden auf 0 Stunden reduziert werden.

Dies ist ein großes Entgegenkommen vor allem gegenüber der BI, die ja als Hauptkritikpunkt den Schattenschlag vorgebracht hatte. Als weiterer Punkt ist ein Bürgerstromtarif zugesichert worden, sodass die Anwohner einen vergünstigten Strompreis über die beiden WEA finanziert bekommen.

Die Bürgerinitiative

Die BI steht dem Ausbau der Windenergie grundsätzlich kritisch gegenüber. Dies wird an Aussagen zum Thema Infraschall deutlich und daran, dass sie nur Anlagen mit einer Gesamthöhe von 130 m akzeptieren würden. Zum Thema Infraschall verweise ich auf den Artikel “Infraschall von Windenergieanlagen“. Die Forderung nach Anlagen mit maximal 130 m Höhe zeigt, dass es noch einen großen Informations- und Aufklärungsbedarf bei den Mitgliedern der BI bezüglich der Entwicklung in der Windenergie gibt.

Anlagen mit einer Gesamthöhe von 130 m werden so kaum noch von einem Hersteller angeboten. Als wichtigster Punkt ist allerdings die nicht mehr vorhandene Wirtschaftlichkeit dieser Anlagen zu sehen. Solche kleinen Anlagen sind in unserer Region kaum noch wirtschaftlich zu betreiben. Auf Grund der 2017 eingeführten Ausschreibungen bei der Windenergie haben nur die wirtschaftlichsten Anlagen eine Chance einen Zuschlag zu bekommen. Anlagen unter 150 m produzieren zu wenig Energie, um sich wirtschaftlich zu rentieren bei einer immer weiter sinkenden Vergütung pro kWh.

Auch beim Thema Schattenwurf der Anlagen gibt es noch große Wissenslücken. Alle beiden neuen Anlagen sollen mit sogenannten Schattenwurfmodulen ausgerüstet werden. Diese schalten die Anlagen bei zu viel Schattenwurf ab. Erlaubt sind nach Gesetz 30 Stunden pro Jahr und maximal 30 Minuten am Tag. Im wirklichen Betrieb dürfen es später aber nie mehr als 8 Stunden pro Jahr sein. Das wären über das Jahr verteilt etwas mehr als eine Minute Schattenschlag am Tag.

Auch wenn die Bedenken der BI sachlich unbegründet waren, hat der Betreiber diese aufgegriffen und einen Kompromissvorschlag ausgearbeitet. Leider wurde dieser von der BI abgelehnt.

Das Verhalten der Politik

Die Stadt Soest führt seit 2019 eine Debatte über Klimanotstand und Klimaneutralität. Im Jahr 2021 ist dann ein Plan zur Klimaneutralität vorgelegt worden. Demnach soll auch die Windenergie forciert werden und weitere Anlagen in der 5 MW-Klasse errichtet werden. Diese Ankündigung steht entgegen der Haltung über 1 ½ Jahre hinweg in Müllingsen. Dort zeigt sich die Verhinderungs- und Verzögerungstaktik von Politik und Verwaltung.

Schon im Sommer 2020 offenbarte sich ein politischer Widerspruch, als es um den bevorstehenden Beschluss der Veränderungssperre ging. Schon hier wurden Hinweise und Anmerkungen nicht beachtet, z.B. dass eine Höhenbegrenzung nicht zielführend ist und man eine Verhinderungsplanung betreibt.

Auch bezüglich der Größe von modernen WEA lässt die Soester Politik eine (klima-)zielorientierte Vorstellungskraft vermissen. Bis heute hat niemand konkretisiert welche Gesamthöhe gewünscht ist, um zeitnah mit dem Bebauungsplan starten zu können. Dass die Anlagen inzwischen eine Höhe von 250 m erreichen können (siehe Repowering-Projekt in Werl-Westönnen), scheint bei den politischen Entscheidungen kaum berücksichtigt zu werden.

Die Standorte bei Müllingsen weisen einen großen Abstand zur Wohnbebauung auf. Das maßgebliche Abstandskriterium von 3H (3x Gesamthöhe zum Ausschließen der optisch Bedrängenden Wirkung) wird hier deutlich eingehalten. 3H soll auch eine Grundlage im aktuellen Gesetzesentwurf zur Windenergie in NRW bilden, dieser zielt auf höhere Gesamthöhen (vgl. Repowering: 240x 3H= 720m) ab. Dieses Abstandsmaß von 720 m bei einem Repowering zu einer Wohnbebauung ab 10 Wohnhäusern wird aber bei Müllingsen eingehalten. Die Anlagen weisen folgenden Abstand zu den umliegenden Ortschaften auf:

Abstände der beiden Anlagen zur Wohnbebauung sowie das Abstands-/Höhen-Verhältnis zum Vergleichen der 3H Regel und Herrn Düsers Planung. Ausgegraut Wohnbebauung <10 Wohnhäuser

Wie der Tabelle zu entnehmen ist weisen die Anlagen ein Vielfaches ihrer dreifachen Höhe als Abstand zu allen geschlossenen Ortschaften auf. Nur zu kleineren Siedlungen im Außenbereich (<10 Wohnhäusern) wird in der Variante mit der WEA 1 bei einer Höhe von 229 m der 3H Abstand zu Bergede, Warte unterschritten. Mit der 200 m Variante dieser Anlage (WEA 1) läge man bei dem 3,2- fachen der Höhe als Abstand und wieder über dem 3H Kriterium.

Die Wohnbebauung (Hof) im Außenbereich Lander liegt innerhalb der 3H von WEA 2. Da dies ein einzelnes Wohnhaus ist kann hier die 3H Regel zur optischen Bedrängung auch unterschritten werden bis minimal 2H.

Beim bisherigen Verhalten der Soester Politik bezüglich Müllingsen ist es daher verwunderlich, wieso dann eine Planung für gut befunden wird, wo kleinere Anlagen in größerer Anzahl (4-5 Anlagen, ca. 150 m hoch, eine Anlage evtl. 200 m hoch) bei Röllingsen und Ampen ca. 633 – 784 m entfernt sind. Die Anlagen stehen grob 200- 300 m näher an den Ortschaften und weisen eine geringe Höhe auf, damit 3H einhalten wird. Den Angaben Herrn Düser zufolge weisen die Anlagen dort einen Abstand zwischen der 4,22 und 5,47-fache Höhe auf. [1] Dies sind also ähnliche Werte wie in Müllingsen und bei der 200 m Variante für WEA 1 in Müllingsen würden sich insgesamt sogar bessere Werte für die dortigen Ortschaften ergeben.

Würde die Soester Politik bei ihrer bisherigen Meinung wie in Müllingsen bleiben, müsste sie auch das Projekt bei Röllingsen/Ampen ähnlich wie in Müllingsen behandeln. Ändert sie aber ihre Meinung, muss sie dies auch zum Projekt in Müllingsen tun. Anders handelt sie widersprüchlich und setzt nicht die gleichen Maßstäbe an, was Höhe und Entfernung angeht.

Ein weiterer Punkt, der verwundert, ist die Tatsache, dass das Projekt innerhalb der noch gültigen Vorrangzone des alten Flächennutzungsplans (FNP) massiv verzögert und verhindert werden soll. Außerhalb dieser Vorrangzone scheint die Soester Politik aber anders vorzugehen. Anders sind die positiven Äußerungen zu den Planungen bei Röllingsen und Ampen nicht zu deuten.

Dieses Verhalten von Politik und Verwaltung erweckt den Eindruck einer (rechtswidrigen) Verhinderungsplanung. Aktuelle Entwicklungen zeigen zudem, dass der FNP kaum noch eine rechtliche Bindung aufweist. Der Kreis Soest hat für eine kleine Hofanlage bei Deiringsen das Einvernehmen der Stadt ersetzt, was zu folge hat, sass die Stadt möglicherweise ihre Planungshoheit verliert.

Der Betreiber wünscht sich außerdem eine klare Aussage der Politik, welche Kriterien ein Angebot erfüllen müsste, damit die Veränderungssperre ausgesetzt werden würde. In den Rückmeldungen der Stadt wurde bisher lediglich bemängelt, dass keine “angemessene Beteiligung” in Aussicht gestellt wurde.

Was ist aus Sicht der CDU und SPD eine angemessene Beteiligung? Reichen eine Verringerung der Gesamthöhe der am nächsten stehenden Anlage, die Beteiligung über einen Bürgerstromtarif und die Abschaltung des Schattenwurfs nicht aus? Was sind die weiteren Forderungen?

Dies wird in keinem Statement benannt oder konkretisiert. Hier zeigt sich deutlich, dass es der Politik nur um eine Verhinderungstaktik geht. Es herrschen scheinbar keinerlei Vorstellungen bei den handelenden Politikern, wie es weitergehen soll mit der noch bestehenden Vorrangzone für Windenergieanlagen.

Die Ablehnung

Der Kompromissvorschlag wurde in der Stadtentwicklungsausschusssitzung im März 2021 abgelehnt. Die Soester Politik hat damit eine große Chance vertan und den Anwohnern ein Bärendienst erwiesen. Wieder wird erwähnt, dass der Kompromissvorschlag nicht ausreichend war, ohne konkret zu benennen, was man sich stattdessen vorstellt. Ein ähnliches Angebot wird es bei einem Sieg des Betreibers im Hauptverfahren vor dem OVG NRW nicht geben. D.h. es wird keine Verringerung der Gesamthöhe einer Anlage geben und auch keinen auf null reduzierten Schattenwurf. Das Projekt wird dann also wie 2019 beantragt vom Kreis Soest genehmigt.

Die Soester Politik lässt mit ihrem Handeln Zweifel aufkommen, ob sie es mit dem Beschluss zur Klimaneutralität 2030 wirklich ernst meinen. Mit dieser Haltung wird jährlich eine Erzeugung von mindestens 10 Mio. kWh sauberer Energie verhindert. Sie setzen unterschiedliche Maßstäbe zur Beurteilung der Projekte an und verhindern plan- und kompromisslos die effektivste Art klimaneutralen Strom zu produzieren.


Anlagen


Quellen

[1] Planungskonzept für zwei Windenergie-Potentialflächen im Stadtgebiet Soest, Vorstellung im Stadtentwicklungsausschuss 23. März 2021, Andreas Düser & Sabrina Raser / Planungsbüro für Erneuerbare Energien, Ense

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