Text von Anna Schuermann, Vera Neubauer & Andreas Scheffer

Die Stadt Soest hat sich zwei hohe Messlatten gesetzt: 

  1. Die Klimaneutralität 2030 erreichen
  2. Den „Soester Weg“ als Vorbild für andere Städte prägen.

In der Ratssitzung am 24.Februar 2021 soll über den vom Unternehmen energielenker projects GmbH ausgearbeiteten Plan für die Klimaneutralität 2030 beraten werden, nachdem er zuvor noch in verschiedenen Ausschüssen Thema sein wird. Daher lohnt sich zuvor für alle Soester*innen eine genaue Betrachtung des Masterplans, dessen grobe Struktur und Eckpunkte im Dezember 2020 präsentiert wurden. 

Die Struktur des Plans & berücksichtigte Sektoren: 

Am Masterplan, dessen Fokus stark auf der Energieversorgung liegt, fällt zuallererst auf, dass er in seiner derzeitigen Form wichtige Sektoren ausblendet. 

Es wird lediglich erwähnt, dass man auch über Mobilität, Gebäudesanierung, den Ausbau Erneuerbarer Energien und Verhaltensänderungen/Suffizienz reden müsse. Gleichwohl ist bisher in keiner Weise ersichtlich, wie das von energielenker ausgearbeitete Konzept in ein Gesamtkonzept münden wird, das diese Bereiche integriert. Grundsätzlich ist unklar, ob es die erwähnte „gesamtstrategische Vorgehensweise“ bieten wird. 

Während die Bereiche „Gebäude“ und „Verkehr“ in Teilaspekten betrachtet werden (mögliche Energieversorgung und Emissionen), wurden eine große Bandbreite an wichtigen Sektoren völlig außen vor gelassen: 

Die Themen Landwirtschaft, Landnutzung und Ernährung, Industrie, Finanzen (Divestment), Konsum, Suffizienz, Energieverteilung und -speicherung, Bauen und Wohnen sowie Abfälle finden keine Erwähnung. 

Auch die Bereiche Stadtbegrünung, Aufklärung und Beratung zum Thema Klimawandel und Formen aktiver Bürgerbeteiligung werden nicht integriert.

Am Beispiel der Sektoren Landwirtschaft/Landnutzung/Ernährung sei einmal vorgeführt, welche Potentiale dadurch ungenutzt bleiben (Für die Ungeduldigen: weitere Folgerungen und Fazit nach dem Kasten):

Für diese und andere Handlungsfelder stellt zum Beispiel der von GermanZero e.V. erstellte „1,5-Grad-Klimaplan für Deutschland“1 Teilziele und mögliche Maßnahmenpakete auf: 

1. Die Emissionen aus der Tierhaltung reduzieren durch die strikte Abkehr von der Massentierhaltung durch Ordnungs- und Steuerrecht

2. Pflanzliche Ernährung als Alternative zum Fleisch- und Milchkonsum attraktiver machen – Anreize zu einer Halbierung schaffen

3. Reduzieren der Stickstoff­überschüsse in der Düngung

4. Luftdichte Gülle- und Mist-Handhabung

5. Wiederherstellung, Schutz und Erhaltung von Moorböden

6. Humusgehalt in landwirtschaftlichen Böden steigern

7. Strategische Neuausrichtung der Förderung und langfristigen Weiterentwicklung der Landwirtschaft

8. Sicherung und Erhöhung der Kohlenstoffbindung in Wäldern und Holzprodukten

Korrekterweise wird zum Bereich Landwirtschaft gesagt, dass es für ihn auf Länder-/Bundes-/Europaebene größere Steuerungsmechanismen gibt; jedoch werden damit alle lokal umsetzbaren Maßnahmen ausgeklammert, die den Landwirt*innen vor Ort für den Umgang mit dem Klimawandel und direkten Folgen daraus Unterstützung bieten würden. 

Die Landwirtschaft birgt ein großes Potential an Möglichkeiten CO2 nicht nur zu reduzieren, sondern auch zu binden. Ebenfalls könnte die Kommune Kantinen städtischer/öffentlicher Einrichtungen wie Schulen, Behörden oder Krankenhäuser überwiegend vegetarisch ausrichten und eine mögliche regionale Belieferung dieser Einrichtungen prüfen.

Die Stadt könnte in Zusammenarbeit mit lokalen Landwirt*innen an (Pilot-)Projekten für die nachhaltige Nutzung ländlicher Räume arbeiten. Sie könnte beispielsweise prüfen, inwiefern und wo sich durch Ordnungs- und Steuerrecht (z.B. Stallbau) Emissionen aus der Tierhaltung reduzieren lassen könnten und wie Landwirt*innen bei dadurch möglicherweise nötigen Umstrukturierungen geholfen werden könnte. Auch durch Investitionen in die Digitalisierung zur Reduzierung von Stickstoffüberschüssen in der Düngung könnte Unterstützung angeboten werden.

Weitere Beispiele für Maßnahmen im Handlungsfeld Landwirtschaft, in denen die Kommune tätig werden könnte, sind die Förderung von Agro-PV (siehe dazu z.B. Tübingens Plan „Klimaschutzprogramm 2020-2030“ https://www.tuebingen.de/Dateien/klimaschutzprogramm_2020-2030.pdf , S. 17, VII), die Vermeidung von Flächenkonkurrenz vor Ort auch durch den Ausbau Erneuerbarer Energien mit Doppelnutzung (Agrophotovoltaik/Überbauung von Verkehrsflächen (ebd., S. 30, Maßnahme Q3)) und die Förderung von Agroforstwirtschaft.

1) siehe https://www.germanzero.de/klimaplan (V.i.S.d.P. H. Stößenreuther; 2.Auflage, Stand 04/2020; S. 41ff.)

Status Quo: Keine andere Stadt, welche die Klimaneutralität bis 2030 beschlossen hat, hat bisher den Sektor Landwirtschaft als eigenständiges Handlungsfeld bearbeitet. Wenn Soest Vorreiterin werden und den „Soester Weg“ in einer Vorbildfunktion für andere Kommunen prägen möchte, wäre hier Potential. Auch könnte so der Soester Börde als Gebiet mit hoher Bodengüte und Bedeutung für die Landwirtschaft Rechnung getragen werden.

Stand des Wissens / der Masterplan Klimapakt als adaptives, dynamisches Leitdokument: 

Ein zentraler Pfeiler des Pariser Klimaabkommens ist das Nachsteuern – die Staaten sind beauftragt, ihre nationalen Ziele immer neu festzulegen und Maßnahmen ggf. neu auszurichten und zu ergänzen, um das 1,5°-Ziel zu erreichen. 

Ende 2021 wird der Weltklimarat beispielsweise voraussichtlich seinen neuen Klimabericht veröffentlichen. Es ist leider zu erwarten, dass daraufhin Nachbesserungen auch von regionalen Zielen zur Emissionsminderung dringend nötig sein werden.

Im Soester Masterplan hat energielenker dieses zentrale Element bisher nicht eingebaut. Es fehlen ein Mechanismus und Bewertungskriterien, mit denen die Zielerreichung regelmäßig überprüft wird, um frühzeitig Abweichungen von dringend zu setzenden Etappenzielen zu erkennen. In gleicher Weise fehlen Mechanismen, mit denen die getroffenen Annahmen, auf denen der Plan beruht, kontinuierlich überprüft und ggf. korrigiert werden.

Zugrundeliegende Annahmen: 

Dieser Mangel führt zu einem wesentlichen Kritikpunkt an der bisherigen Ausarbeitung: eine grundlegende Annahme des gesamten Konzeptes basiert auf falschen Werten:

Die Pro-Kopf-Emissionen von Soester*innen werden für das Jahr 2018 mit 7,4 t CO2 bilanziert. Dieser Wert beinhaltet jedoch keine Emissionen für den Bereich Energie und Landwirtschaft und die Emission des Autobahnverkehrs (50% der Emissionen aus dem Bereich Verkehr!).

Das heißt: dieser Klimaplan kann das vorgegebene Ziel der Klimaneutralität nicht erreichen, wenn diese nicht nur auf dem Papier, sondern tatsächlich existieren soll.

Es bliebe sicherlich die Möglichkeit, die nicht betrachteten Emissionen zu kompensieren – da sie aber schlicht herausgerechnet werden ergibt sich kein reales Abbild der Ausgangssituation und somit auch keine sinnvolle Strategie zur Klimaneutralität.

Ein weiteres Problem ist, dass in den Szenarien von energielenker keine existierenden oder zu schaffenden Möglichkeiten für die klimaneutrale Erzeugung von 300 GWh/a E-Brennstoffen genannt werden.

Das Ziel-Szenario:

Das von energielenker angepeilte Ziel-Szenario beinhaltet die Nutzung von Biomethan, Biodiesel und Bio-CNG. Diese sind zwar klimaneutral, werden jedoch aus Energiepflanzen gewonnen, die in Flächenkonkurrenz zur Nahrungs- und Futtermittelproduktion stehen. 

Ausführlich behandelt ist dieses Thema im Artikel „Richtig Gas geben in der Energiewende“: https://klimanotstand-soest.info/2021/01/16/richtig-gas-geben-in-der-energiewende/.

Weiterhin ist daneben nicht berücksichtigt, dass es bisher (zu) wenige Biogasanlagen gibt. Durch nötige Neuinvestitionen in Biogasanlagen würde man sich jedoch auf längere Zeit auf die Unterstützung einer veralteten Technologie festlegen, sodass eben doch ein „Lock-In für Zukunftstechnologien“ (Zitat aus der Präsentation S.10) geschaffen würde. 

Unsere Einschätzung:

Insgesamt gibt es im Soester Masterplan Klimapakt gute Aspekte, die an anderer Stelle behandelt werden können. 

Das ernüchternde Fazit ist jedoch, dass der Plan in seiner jetzigen Form nicht dafür geeignet ist, Soest in die Klimaneutralität 2030 zu führen. 

Auch die Vorstellung, dass andere Kommunen auf Soest als Vorreiterin schauen können und ein „Soester Boom“ stattfindet, wird somit zum Wunschszenario. 

Bild von mohamed Hassan auf Pixabay

One thought on “Der Masterplan Klimapakt auf dem Prüfstand”

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