Die Stadt Soest hat sich das Ziel gesetzt bis 2030 klimaneutral zu sein. Die sich immer schneller entwickelnde Klimakrise macht diesen Schritt notwendig und es ist gut, jetzt mit einem umfassenden Beschluss den Weg in die Klimaneutralität in Soest zu beginnen.


In einem „Masterplan Klimapakt“ zeigt das von der Stadt beauftragte Beratungsbüro „energielenker“ Teile eines möglichen Weges zu diesem Ziel auf. Aus Sicht der in Soest aktiven KlimaAkteur* innen von ABU, BUND, Extinction Rebellion, Fridays for Future, Klima-Aktionsbündnis Soest, Klimanotstand Soest, Klimatreff Soest, Parents for Future, So lebenswert! 2030, Umschalten in der Energieversorgung Soest e.V., ADFC und dem VCD enthält das Konzept erste gute Schritte auf dem Weg zur Klimaneutralität.


Viele Bereiche fehlen jedoch – nur wenn in allen Bereichen CO2 gespart wird, ist das Ziel bis 2030 zu erreichen. Es müssen sämtliche Emissionsquellen benannt und quantifiziert werden. Aktuell fehlen noch wichtige Informationen und Daten. Würde der jetzige Masterplan so umgesetzt, wird der Soester Beitrag zum Ziel der Klimaneutralität nicht ausreichen.


Die Akteurinnen benennen zwölf Handlungsbereiche, die aus ihrer Sicht den Klimapakt zum Erfolg führen können.

1: Echte Bürgerinnenbeteiligung

Eine rechtzeitige, offene und dauerhafte Beteiligung der gesamten Stadtgesellschaft ist notwendig. Die Stadt Soest spricht vom Klima“ Pakt“, also einem Bündnis und einer Vereinbarung mit allen Einwohnerinnen. Interessengruppen müssen deutlich stärker und wirksamer beteiligt werden und Gehör finden. Eine zu späte Bürgerinnenbeteiligung, die erst nach einem Beschluss stattfindet, führt zu Akzeptanzproblemen. Dem kann man vorbeugen, indem schon bei der Strategieentwicklung eine öffentliche Beteiligung garantiert wird. Es reicht nicht, wie aktuell geplant, die Bürgerinnen nur zu „informieren, sensibilisieren und motivieren“.

2: Fortschritte messen und veröffentlichen

Nach der noch zu leistenden, vollständigen Datenerhebung aller Emissionssektoren ist es wichtig, nachweislich erzielte Einsparungen halbjährlich offen zu legen. Dieser Prozess muss für alle Bereiche transparent und nachvollziehbar sein. Die abgebildete Entwicklung muss objektiv erkennen lassen, dass das große Ziel der Klimaneutralität 2030 auf diesem Pfad erreicht wird. Die vom Beratungsbüro angewandte Standard-Berichtsmethodik (nach BISKO) wird gerade im Auftrag des Bundes überarbeitet, da sie nicht komplett und zielführend ist. Diese Methodik wird bald in dieser Form nicht mehr existieren. Auch über nicht in absoluten Zahlen messbare Fortschritte muss berichtet werden.

3: Ausbau Erneuerbare Energien

In der Energiewende ist das Herzstück die Förderung des weiteren Ausbaus von Photovoltaik und Windkraftanlagen. Laut Masterplan soll ein 2000-Dächer-Programm den Sonnenanteil im Strommix deutlich erhöhen, ebenso wie eine PVPflicht auf Neubauten (inkl. Anpassung des Baurechts). Diese Bestrebungen unterstützen die Akteurinnen. Ein großes zusätzliches Potential liegt in der gemeinsamen Nutzung von Landwirtschaft und Photovoltaik, der sogenannten „Agri-Photovoltaik“. Dabei werden Solaranlagen auf Äckern so aufgestellt, dass die Fläche weiterhin landwirtschaftlich genutzt werden kann. Ein 100ÄckerProgramm könnte hier entscheidende Impulse setzen. Auf diese Weise würde mehr nutzbare Fläche für Solarenergie gewonnen und überflüssige klimaschädliche Emissionen vermieden.

4: Finanzielle Bürgerinnenbeteiligung

Solar- und Windanlagen können über öffentliche Beteiligungsmodelle errichtet, finanziert und betrieben werden. So sind die Bürgerinnen am finanziellen Gewinn aus den Anlagen beteiligt. Das Beratungsbüro sieht diese finanzielle Beteiligung als sehr wichtig an. Das führt erfahrungsgemäß zu höherer Akzeptanz der Klimaschutzmaßnahmen. Hier spielen die Stadtwerke als 100%ige Tochter der Stadt eine wichtige Rolle und sollten daher in die Entwicklungsprozesse der Beteiligungsmodelle einbezogen werden.

5: Landwirtschaft und Ernährung

Der gesamte Bereich der Landwirtschaft wurde in der Bilanzierung nicht einbezogen. Dies wird von den Akteurinnen, als nicht akzeptabel kritisiert, insbesondere vor dem Hintergrund der landwirtschaftlichen Struktur in Soest. So bleiben große Flächen für Solarstrom ungenutzt und die Klimaneutralität wird nicht erreicht. Agri-PVP-rojekte in den Niederlanden und Freiburg belegen die immensen Energiegewinne. Nicht nur die landwirtschaftlich geprägte Soester Börde bietet hierfür ein geeignetes Potenzial, auch die ansässige Fachhochschule kann in dem Zusammenhang helfen und Vorreiter werden. Bei der Ernährung ist der kommunale Einfluss nicht unbedeutend. Dies geht von der Stärkung von regionalen Betrieben bis zur Produktion von ökologischen und vegetarischen Lebensmitteln. Aufgrund der aufgezeigten Vielzahl positiver Effekte fordern die Akteurinnen die maximale Einbeziehung der landwirtschaftlichen Potenziale im Bereich der Stadt Soest.

6: Energiewirtschaft

Das Konzept der „energielenker“ sieht vor, 50% des Energiebedarfs mit Biomasse zu decken. Das Umweltbundesamt empfiehlt dagegen, bis 2030 auf die Nutzung von Biomasse aus Energiepflanzen zu verzichten. Desweiteren konkurrieren Energiepflanzen mit Flächen für die Lebensmittelherstellung. Hinzu kommen die Umweltauswirkungen von intensiven Anbaumethoden. Andere Quellen von Biomasse für Biogasanlagen, wie z.B. Gülle, Siedlungsabfälle und Stroh sind nur in geringem Umfang für die energetische Nutzung verfügbar und können maximal 7­8% des Energiebedarfs decken. Aus Effizienzgründen ist Biogas weder für Niedertemperaturanwendungen wie Raumwärme noch für den Betrieb von PKW geeignet. Aufgrund dieser Faktoren halten die Akteur*innen diese Strategie für nicht zukunftsfähig. Insbesondere sollten aus Sicht der Akteur*innen die Stadt oder Stadtwerke jetzt keine Entscheidungen über die Lieferung von Biogas verbindlich abschließen, die langfristig verpflichtend und auf Dauer nicht nachhaltig sind. Ein späterer Ausstieg könnte mit einem hohen finanziellen Schaden für die Stadt und die Bürger*innen verbunden sein, wie schon geschehen beim vermeintlichen Ausstieg aus den Trianel­Beteiligungen am Kohlekraftwerk Lünen (TKL) und dem Gaskraftwerk Hamm (TGH). Die effektive Reduktion von Emissionen sollte generell durch transformative und messbare Maßnahmen vor Ort erzielt werden. Sogenannte ‘Carbon­Offset’ Maßnahmen durch den Ankauf von Verschmutzungs­zertifikaten lehnen wir als nicht­zielführende ‘Greenwashing’ Methoden kategorisch ab.

7: Flächen nicht weiter bebauen

Jeder Neubau verbraucht wertvollen Boden, Ressourcen für die Herstellung und Heizenergie im Betrieb. Daher fordern die Akteurinnen, dass Projekte zur Flächeneinsparung und zur Aktivierung von leerstehendem Wohnraum bevorzugt vorangetrieben werden. Weitere Emissionseinsparungen können
erzielt werden durch mögliche Aufstockung von bestehenden Gebäuden, dem Ausbau von Dachgeschossen sowie Beratungen zur Flächeneinsparung bei Neubauvorhaben. Dies sind wichtige Maßnahmen zur Erreichung von Klimaneutralität. Erreichbar sind diese Ziele z.B. durch steuerliche Vergünstigungen für genügsamere Wohnformen, Förderung von Gemeinschaftsprojekten und eine Reduzierung der Nachweispflicht für Stellplätze für Haushalte ohne PKW.

8: Lokale Industrie

Auch die lokale Industrie kann einen signifikanten Beitrag zur Klimawende leisten. Firmen, die einen positiven Beitrag für das Gemeinwohl leisten, sollten gezielt gefördert werden, z.B. durch Reduzierung der Gewerbesteuer. Industrielle Freiund Dachflächen zur PVNutzung haben ebenfalls ein großes Potenzial kostengünstigen, erneuerbaren Strom zu erzeugen. Eine klimaneutrale IT-Infrastruktur, ein an Nachhaltigkeitskriterien orientiertes Beschaffungswesen und die Einbeziehung regionaler Firmen in die Projektumsetzung können eine immense lokale Wertschöpfung nach sich ziehen und Beiträge zur Klimaneutralität leisten. Klimaneutralität ist ein innovativer Wirtschaftsmotor für Soest und muss als dieser im KlimaPakt deutlich besser abgebildet werden.

9: Verkehr vermeiden

Als völlig unzureichend bezeichnen die Akteurinnen, die für den Verkehr genannten Diskussionspunkte. Der Aufruf zur deutlichen Reduzierung von Verkehrsbewegungen wird im Masterplan nicht ausgeführt. Radverkehrskonzepte, Maßnahmen zur Verbesserung des ÖPNV und der autoarmen Innenstadt werden zwar im Masterplan genannt, allerdings gibt es dazu keine Maßnahmensteckbriefe. Als Voraussetzung dafür müssen dazu andere Verkehrsstrukturen geschaffen werden. Alle bisherigen Untersuchungen zeigen, dass andere Antriebstechniken alleine nicht reichen, um Klimaschutz im Verkehrssektor zu erreichen. Den Einsatz von Biokraftstoffen im Verkehr lehnen die Akteurinnen ab. Dies gilt ebenso für Biogas aus Restabfällen, da sie nur äußerst begrenzt zur Verfügung stehen und zudem besser zur Bindung von Kohlenstoff im natürlichen Kreislauf verbleiben. Fragen nach Flächengerechtigkeit und ein höherer Anteil für Fußverkehr, Radverkehr und Bus und Bahn müssen dringend in das Konzept aufgenommen werden. Die Akteur*innen fordern ein klares Bekenntnis zur Bevorzugung von emissionsfreiem Rad- und Fußgängerverkehr in der Stadt, denn die vorhandene Formulierung über die „neue Aufteilung des Straßenraums für alle Verkehrsmittel“ ist deutlich zu vage.
An dieser Stelle wird deutlich, dass Klimaschutz neue Lebensqualität bringt. Weniger Autoverkehr führt zu weniger Lärm. Straßen und Plätze erhalten eine neue Lebensqualität. Weniger Parkplätze bedeuten mehr Raum für Grün- und Wasserflächen.

10: Artenvielfalt rettet unser Überleben

Leider fehlt im Klimapakt gänzlich der Bereich der Artenvielfalt und Biodiversität, was als äußerst bedenklich gesehen wird. Ohne den aktiven Erhalt von Naturräumen und Artenvielfalt fehlt ein wesentlicher Baustein zum Erhalt des Klimas. Artenvielfalt und Biodiversität sind die Lebensgrundlage von uns Menschen auf diesem Planeten. Sie bieten wirksame CO2-Speicher. Der heute schon dramatische Verlust an Boden, an Tier- und Pflanzenarten darf durch Klimaneutralitätsmaßnahmen unter
keinen Umständen weiter gefährdet werden. Klimaschutz und der Erhalt einer vielfältigen, Leben ermöglichenden Umwelt gehen Hand in Hand. Dies muss im Masterplan nachgebessert werden. Das Konzept der Soester Initiative „So lebenswert“ zeigt beispielhaft diese Verknüpfung von Umwelt- und Naturschutz auf.

11: Energie und Material sparen

Jedes Produkt benötigt Energie für Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung. Diese Energie wird „Graue Energie“ genannt. Dieser indirekte Energiebedarf steckt in jedem Produkt. Jeder Verbraucher/jede Verbraucherin kann also mit ihrem Verhalten etwas zum Klimaschutz beitragen. Nach heutiger Lesart zählt das zwar nicht zum CO2-Budget der Stadt Soest, sollte aber dennoch als Beitrag zum Klimaschutz anerkannt werden. Das Bauen ist der Bereich, in dem am meisten „graue Energie“ gebraucht wird. Die Akteur*innen fordern, dass die Stadt Soest klimafreundliches Bauen z. B. mit Holz forciert.

12: Zufriedenheit, Verbundenheit und Achtsamkeit

Alle genannten Maßnahmen greifen nicht, wenn wir unser konsumorientiertes Leben so weiterführen wie bisher. Dabei geht es nicht um Verbote und Zwang, sondern um unsere gegenseitige Verantwortung und unsere Pflicht zur Erhaltung der Lebensgrundlagen dieser Erde. Diese oft mit dem Wort „Suffizienz“ bezeichnete Haltung meint eine höhere Lebensqualität bei gleichzeitiger Befreiung vom materiellen Überfluss. Wir fordern dagegen eine konsequente Suffizienz-Politik, die die Reduktion des
Naturverbrauchs nicht als individuelle Aufgabe begreift, sondern als gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Die Aufgabe der Politik ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, die ressourcenschonendes Verhalten für alle attraktiv und alltagstauglich macht.

Die „energielenker“ haben im Auftrag der Stadt ein erstes Konzept für den Klima-Pakt vorgelegt. Unsere Stadtlenkerinnen übernehmen mit dem Beschluss des Klima-Paktes am 24.02. die Verantwortung für die Bürgerinnen und zukünftige Generationen. Daher gilt es nun, die von den Akteur*innen aufgezeigten Lücken im Klimapakt umgehend zu füllen. Nur mit einer stetigen Weiterentwicklung dieses Konzeptes wird es möglich sein, Klimaneutralität 2030 zu erreichen.

Alle beteiligten Initiativen betonen, dass sie den Plänen der Stadt Soest offen und konstruktiv gegenüberstehen und mit dieser Stellungnahme erneut ihre Unterstützung bei der Umsetzung eines gut durchdachten und zielführenden Klimapakts anbieten.

Pressekontakt: Andreas Scheffer, Klimanotstand Soest, andreas.scheffer@klimanotstandsoest.info

Grafiken (C) Martin Reil, so-lebenswert